Montag, 11. Januar 2016

Könnten Terroristen die Lebenslinie der Weltwirtschaft treffen?


Bild: Primoz Jenko
Terroristen können überall und zu jeder Zeit zuschlagen. Dies führten uns die Anschläge in Paris am 13. November 2015 wieder einmal vor Augen. Die Regierungen antworten mit der Verschärfung der öffentlichen Sicherheitsvorkehrungen – und dies zurecht. Was aber, wenn Terroristen direkt die Supply Chain ins Visier nehmen würden? Der erfolgreiche Anschlag auf einige wenige ausgewählte strategische Ziele – beispielsweise im Energiehandel – könnte die Weltwirtschaft zum Erliegen bringen. Um derartige Katastrophen zu verhindern, sollten sich Unternehmen und Regierungen der „Bedrohungen mit geringer Wahrscheinlichkeit“ vermehrt bewusst sein und Instrumente zum Schutze des eigenen ökonomischen Interesses und des Wohls der Welt entwickeln.
Im November 2015 erschütterten die Anschläge auf die Konzerthalle in Paris, auf den russischen und Charterflug in Sharm El Sheikh und auf das Behindertenzentrum in San Bernardino die Welt. Infolge von hunderten von Zivilopfern reagieren Regierungen überall auf dem Globus mit verschärften Sicherheitsmaßnahmen. Eine notwendige Antwort zur Sicherstellung unserer persönlichen Sicherheit.
Trotz der Priorität auf öffentliche Einrichtungen sollte eine andere wichtige Flanke nicht ungeschützt bleiben: die industrielle Infrastruktur und die Supply Chain. See- und Flughäfen, Straßennetze, Wasserstraßen und Schienenstränge – sie alle spielen eine wichtige Rolle in der Versorgung von Mensch und Industrie. Zwei Risiken haben dabei besonderes Gewicht: Auf der einen Seite die Überreaktion in Bezug auf den Schutz öffentlicher Einrichtungen, welche die Supply Chain negativ beeinträchtigen könnten und auf der anderen Seite die Vernachlässigung der Sicherung der Supply Chain, was Terroristen die Möglichkeit eines Anschlags ließe.
Die Beeinträchtigung der Supply Chain durch öffentliche Sicherheitsmaßnahmen ist nicht neu: „Nach dem terroristischen Anschlag am 11. September 2001 schloss die U.S. Regierung die Landesgrenzen und stoppte alle einkommenden und ausgehenden Flüge. Die Auswirkungen auf die Lieferketten zeigten sich stehenden Fußes”, erklären Yossi Sheffi und James B. Rice Jr. in einem MIT Sloan Artikel. “Ford Motor Co. legte periodisch Fließbänder still, da von Kanada und Mexiko eingehende mit Komponenten beladene LKW verzögert wurden. Fords Produktionsleistung im vierten Quartal des Jahres 2001 lag 13% unter Plan.” Obwohl nicht direkt betroffen, führte die Beeinträchtigung der Warenflüsse zu signifikanten Geschäftsschäden und Störungen in der Versorgung.
Allerdings geht von der Vernachlässigung der Supply Chain-Sicherheit noch eine viel größere Gefahr aus: die Bedrohung durch terroristische Anschläge, die auf die Lebenslinie der Weltwirtschaft zielen. Bis heute waren derartige Anschläge äußerst rar: Gemäß Daniel Ekwalls Analyse der offiziellen terroristischen Statistik der MIPT Terrorism Knowledge Base repräsentierten Transportaktivitäten nur 4% der Ziele im Jahr 2006 und 5% im Jahr 2007 – die niedrigste Zahl, die zu finden war. Allerdings hat die Zahl der Anschläge in Bezug auf die Supply Chain entsprechend einem PwC-Bericht über die letzte Dekade kontinuierlich zugenommen und erreichte im Jahr 2010 das Niveau von 3.299 Anschlägen.
Sollten Terroristen die Supply Chain ins Visier nehmen, könnte dies verheerende Konsequenzen haben. 70 bis 80% des weltweiten Öls passiert nur drei wichtige Passagen: den Suezkanal, die Straße von Hormus und die Straße von Malakka (siehe Grafik). Das Schließen einer oder mehrerer dieser Passagen würde die globale Lieferkette erheblich beeinträchtigen. Von besonderer Bedeutung ist die Straße von Hormus: gelegen zwischen der arabischen Halbinsel und dem Iran passieren durch diese nahezu 20% des globalen Ölhandels.



Source: Reuters http://blogs.reuters.com/data-dive/files/2015/03/OilChokepoints032715.jpg

Auch die Hauptumschlagsbasen für Fracht sind mögliche Ziele für Terroristen. 14,8% des containerisierten und des Luftfracht-Verkehrs fließen durch den Hongkong – Shenzhen Fracht-Cluster. Der Hafen von Shenzhen ist einer der wichtigsten Häfen für Chinas internationalen Handel und daher entscheidend für die Versorgung vieler Fabriken und Kunden weltweit.
Straßen, Computer-Netzwerke und Verkehrsleitsysteme sind ebenfalls anfällig gegenüber terroristischen Anschlägen. Diese könnten gehackt werden und infolge Chaos erzeugen. Der Transport auf nationalen Straßen und in Städten könnte unmöglich gemacht werden. Flugzeuge könnten kollidieren. Bei jedem Landeanflug tauschen Flugzeuge mit mehreren elektronischen Systemen Informationen aus und sind folglich in dieser Situation einem Risiko ausgesetzt. Auch Weichen könnten umgestellt werden und zum Entgleisen von Zügen führen.
Wichtig ist, sich der Gefahren um die Supply Chain bewusst zu sein und adäquate Maßnahmen zu deren Schutz zu ergreifen. Einige Regierungen haben dies verstanden. Bereits im Jahr 2009 erklärte Präsident Obama die digitale Infrastruktur zum strategischen nationalen Gut. Die kanadische Regierung ist mit der Formulierung einer Anti-Terror Strategie ein weiteres Beispiel. Diese betont die Notwendigkeit eines integralen Ansatzes aller Regierungsebenen, aller Strafverfolgungseinrichtungen, des Privatsektors und der Bürger in Zusammenarbeit mit internationalen Partnern und Alliierten, wie die Vereinigten Staaten von Amerika. Es ist zu erwarten, dass infolge der Ereignisse des 13. Novembers 2015 Regierungen die Maßnahmen zum Schutze vor Terroristen verschärfen werden – mit möglicherweise gravierenden negativen Folgen für die globale Supply Chain.
Die Privatwirtschaft sollte dem Beispiel der Regierungen folgen. Der erste Schritt liegt darin, die Möglichkeit eines solchen Anschlages auf die Supply Chain anzuerkennen. Denn dies scheint noch nicht oft genug der Fall zu sein, wie eine Studie der University of Tennessee zeigt. Diese fand heraus, das von zwei Dritteln der Firmen mit Risk Managern nahezu alle dieser internen Funktionen die Supply Chain Risiken ignorieren. Angesichts der derzeitigen Entwicklungen eine möglicherweise riskante Haltung.
Bedauerlicherweise ist die Bedrohung durch Terroristen Bestandteil unseres Lebens. Wir sollten daher alles in unserer Macht stehende unternehmen, um ein weiteres Paris oder San Bernardino zu verhindern. Während die öffentliche Sicherheit das höchste Gebot ist, sollten wir die Sicherheit der Lieferkette nicht aus den Augen verlieren. Diesbezüglich ist das Bewusstsein um dieses Risiko und die möglichen Folgen der erste Schritt. Das Ergreifen von Vorbeugemaßnahmen im eigenen Land und Unternehmen der nächste.



Dieser Blog erschien ursprünglich auf der WorldEconomic Forum Agenda.





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